2 ½ aus 7: Den Punkten in Osterhausen nachgehoppelt
Meine ganz persönliche Turnierwelt
Hallo liebe Schachfreunde,
wie Ihr ja mittlerweise mitbekommen habt, habe ich mich über Ostern beim OSV 1887 einquartiert. Sieben Runden CH-Turnier mit zwei Doppelrunden… aber kein Klagen jetzt – ich wollte es so! Wie sonst kann ich Kondition und Motivation besser testen, nachdem ich jahrelang auf Entzug von der Droge Schach war? Nun, es war wirklich ein tolles Erlebnis, zwischen Euphorie und Ermüdung, Erfolg und Niederlage, Adrenalinattacken und abchillen, drauf los ziehen und drauf los zicken, die Feiertage zu einem Event der anderen Art zu machen.
Vorab gesagt: das konnte nur funktionieren, weil meine Familien funktionieren! Vielen Dank an meine Lieben für euer Verständnis und eure Nachsicht!
Ich hatte meinen Fotoapparat jeden Spieltag dabei und habe so auch alle Eindrücke für das sonst doch so schwache Gedächtnis als Stütze digital festgehalten. Ein Segen der Technik.
Nicht nur auf den rein schachlichen Schauplätzen habe ich gewonnen, nein – auch menschlich gab es Situationen der Bereicherung. So z. B. als bei dem älteren Spieler neben mir aus der dritten Runde das Mobiltelefon deutliche Laute von sich gab. Der ältere Spieler wollte sofort aufgeben, als der sehr junge Dirigent der andersfarbigen Steine entgegnete: Wir können doch einfach weiterspielen. Doch der ältere Spieler bestand darauf, den Verlust der Partie einzufahren, denn so sind die Regeln. Das war für mich ein erster Hauch wirklicher Größe, der berührte. Denn fair geht vor!
Ich war morgens immer einer der ersten Spieler vor Ort. In der kleinen Kantine schlürfte ich den frisch gebrauten Kaffee aus dem Pappbecher und gab mich dem morgendlichen smalltalk hin. Eines Morgens stand ein großer, älterer, gepflegt und weltoffen aussehender Mann neben mir. Wir tauschten ein paar freundliche Worte aus – und auf einmal fuhr der Blitz in mich: Ich kenne ihn… woher? Dieser leichte Dialekt, dieses Lachen und der Wortwitz… und dann lichtete sich mein Nebel: Vlastimil Hort. Der Mensch, der mir zusammen mit Dr. Pfleger in meiner Jugend das Schachspielen in den achtziger Jahren nahegebracht hat. Boah… die Überraschung hinderte mich, ihn zu fragen, ob ich ein Foto von ihm machen dürfte. Und so verblieb ich auch nicht länger, als mein morgendlicher smalltalk dauerte, in der „Cantina Alfredo“. Später habe ich dann im Internet erfahren, dass ich zu Gast bei Vlastimils Verein bin. Schwache Recherche im Vorfeld!
Apropos Recherche im Vorfeld. Dazu gleich mehr.
Erste Verluststellung: einfach geschlafen!
Meine erste Gewinnpartie konnte ich erst in der vierten Runde erreichen. Ich hatte mich in der zweiten Runde konditionell verausgabt, denn die Distanz ging über 4,5 Stunden – und das im Anschluss an eine schlechte Partie am Vorabend. Dabei hatte ich zweimal Remis angeboten – wie auch zuvor in der Partie, doch mein Gegner trieb mich weiter in den Sog der Spielzeit und der bröckelnden Kondition.
Ein Rundenturnier mit Fortschrittswertung bedeutet eben, dass die Partien der ersten Runde bei der Feinwertung eine höhere Gewichtung haben, als die letzten. Also werden die Klingen in den ersten Runden mit viel mehr Schwung und Kraft gekreuzt.
Letztlich führte meine Verausgabung zu einer Fehleinschätzung – ich verschenkte zwei Bauern, die schwabbelige Qualle trocknete aus und die Partie ging den Bach hinunter. Der Preis der schlechten mentalen und konditionellen Vorbereitung. Klaus, mein Gegner dieser Partie gestand mir dann später ein, dass auch er nachmittags die Strapazen dieser Partie gemerkt hatte.
Zunächst eine Wohlfühl-Stellung dann den Bogen überspannt
Und das war die erst die Vormittagsrunde… Nachmittags wurde es schlimmer. Ich war schlafreif, die Sonne schien mir am Brett schräg in die Augen (von wegen Fensterplatz reservieren – überlegt Euch das bitte gründlich) und dann bekam ich schon wieder die schwarzen Steine. Total angefressen begann ich in Gedanken zu zicken:
Schon wieder DWZ 1800+ Mein Gegner geht bestimmt wieder nicht auf Remisangebote ein. Wieder über vier Stunden Gehirnschmalz für Nüsse. Wozu mache ich das hier eigentlich? – Du musst das hier nicht tun! Dazu zwingt Dich keiner. Schlaf Dich doch aus!
Mein tiefster Punkt im Turnier.
Ich war bereits von meiner Kondition und meiner Einstellung im Vorfeld besiegt.
Und richtig: Ich eröffnete erst ein Budapester, dann aber zog ich die Stellung im Blitzstil kaputt, hackte die Dame fröhlich zur Mattabwehr gegen einen Springer und war froh, dem Gegner nach gut 20 Min. endlich die erlösende Unterschrift geben zu können. Ich war keine zehn Minuten zu Hause, da bin ich auch schon eingeschlafen. Aber glaubt mal nicht, dass ich von irgendetwas in schwarz und weiß geträumt hätte. Von wegen.
Am nächsten Tag habe ich dann noch mal meinen letzten Gegner angesprochen und ihm erklärt, warum er nicht in den Genuss einer schönen Partie gekommen ist. Die Art und Weise zu spielen war ja nicht nett von mir…. das war schon eine Erklärung wert.
Dafür habe ich aber gelernt, wie wichtig Kondition und mentale Fitness ist. Und in der nächsten Runde habe ich genau das gemacht, was ich vorher gelernt habe: Die Partie bis zum Ende der Zeit spielen, remis ablehnen und Gewinnversuche unternehmen oder Remisversuche unternehmen lassen. Dabei selber nicht aus der Ruhe bringen lassen, sich selbst nicht unter Druck setzen (das sagt sich echt leicht, wenn man bereits drei Nullen eingefahren hat und mit dem Vorletzten der Teilnehmerliste gepaart wird). Naja, es gelang mir – gegen die negativen Energien aufzubegehren – Oooommmmm……..
Und tatsächlich führte der Gegner, nachdem ich ihm zweimal das remis verweigerte, dann einen Zug mit Tempoverlust aus, der das Endspiel für mich angenehmer gestaltete, dann sah er wohl Gespenster und gab die Kontrolle über Einbruchsfelder auf. Anschließend sprachen wir noch über die Partie und ich half ihm, Lücken in seiner Notation zu schließen. Endlich habe ich erste Früchte geerntet. Nur die Konzentration auf die Partie und die Fixierung auf das Brett, auf mein Wissen und Selbstvertrauen haben letztlich Erfolg beschert.
In zweierlei Hinsicht ein Durchbruch
Am nächsten Tag verteidigte ich mich mit Damengambit gegen einen aufstrebenden und Erfolg versprechenden jungen Spieler. Doch mein Antagonist setzte den Minoritätsangriff nicht energisch genug gegen mich ein. Es gelang mir, einen Springer auf c4 zu postieren, der dann einen gedeckten Freibauer nach sich zog. Trotzdem spielte auch ich ungenau, aber auch hier setzte ich mich nicht mehr unter Druck. Das Remis wäre eigentlich für mich schon ein netter Erfolg. Letztendlich führte eine Ungenauigkeit dazu, dass ich Grundreihenmatt drohen konnte, dem sich mein Gegner auch nach Schlagabtausch nicht entziehen konnte.
Ein, zwei mal sah ich bei meinem Gegner ein verstecktes Gähnen. Was ein verräterisches Indiz. Ja, ja! Würde die „fehlende Kondition“ als Gegner ausgewertet…
Witziger Weise stellten wir beide Kontrahenten nach der Partie fest, dass wir uns am Abend vorher intensiv gegenseitig mittels Internet durchleuchtet haben. Christian hatte veröffentlichte Partien von mir studiert und mich als Pausierer enttarnt, wogegen ich seine schachliche Vitae genauestens betrachtet habe und seine Turniere, –erfolge und Leistung kannte. Das war für uns beide und seinen begleitenden Trainer eine humorvolle Erkenntnis. Abschließend haben wir uns dann im Analyseraum niedergelassen und diesen Film Revue passieren lassen, nicht ohne dabei neue Erkenntnisse im Kreise weiterer Schachfreunde zu gewinnen. Wieder einmal nette Menschen kennen gelernt.
Schwarz am Zug: Gewinn
Am Anfang des Turniers traf ich auf Andreas, der sich aus der Nähe von Worms aufgemacht hatte, sich einiger Turnierpunkte zu bemächtigen. Er war – wie ich – viel zu früh am Austragungsort. Und irgendwie stimmte es zwischen uns, wir kamen ins Gespräch und wurden über die Dauer des Turniers zu intensiven Gesprächspartnern, die es verstanden auch mal abseits des Schachs Gesprächsthemen zu finden. Eine nette Anekdote, die ich immer wieder gerne hörte, entstammte aus seinem Spiel in der ersten Runde. Die Uhr entschied mit 16 Sekunden weniger gegen ihn. Amüsant daran war seine anschließende Feststellung, dass „ein Meister die Partie auch König gegen König gewinnen wird“. Die Anekdote entwickelte sich zu einem running gag, den ich wenigstens einmal am Tag zu hören bekam. Schöner Galgenhumor.
Kurz vor Runde sechs kam Andreas zu mir und sagte, dass der Aushang der nächsten Runde abgenommen wurde. Die Auslosung war nicht in Ordnung. Was meinte Andreas? Wir sollten gegeneinander spielen – an Brett 59.
OK, das war nicht der wirkliche Grund, aber: Das ging ja gar nicht!
Aber so kam es ja auch nicht.
Eine neue Paarung der Runde war ausgedruckt und wurde angebracht. Wir hatten dann an Brett 60 gegeneinander zu spielen.
Wir schauten uns an und schmunzelten. Wie sollte das enden. Nun, wir waren uns einig, dass wenn einer von uns einen kapitalen Fehler machen würde, wir die Partie gnadenlos bis zur Aufgabe spielen würden. Soviel Sportgeist muss sein. Andererseits waren wir beide auch darauf aus, mindestens einen halben Punkt zu ergattern. Also spielten wir los. Andreas feilte an einem elastischen Hippopotamus-Aufbau und war bereit, mit Sprengungszügen an den Flanken mein nettes Zentrum zu kompromittieren. Und so kam es auch. Schließlich entstand ein Königsinder, in dem er -die eigene Rochade verzögernd- darauf wartete, dass ich in mein (kurzes) weißes Rochadeunglück rochiere.
Doch glücklicherweise hatte ich als gute-Nacht-Lektüre Botwinniks zweiter Methode kennen gelernt, die den Vorstoß f5 durch h2-h4-h5 entkräftet. Ohne direkte Angriffschancen auf beiden Seiten verflachte sich das Spiel und dann kam der Punkt, an dem wir es für besser hielten, sich auf ein freundschaftliches Ende einzulassen und unsere Kondition für die nächste Runde aufzusparen.
Am nächsten Tag brachte ich dieses Lehrbuch mal mit, aus dem ich dieses Manöver erlesen hatte. Simon, ein junger Schachfreund aus Duisburg fand Gefallen an dem Buch und notierte den Titel. Simon saß im Turnier bei Punktegleichheit neben mir, da wir in der Ratingtabelle direkt hintereinander geführt wurden. So blieb es nicht aus, dass auch wir in der spielfreien Zeit Amüsement in der Analyse oder Gesprächen suchten.
Mein letzter Gegner sollte so eine richtige „Turnierkampfsau“ werden. Mein Alter – aber mit über 160 DWZ-Auswertungen, dabei regelmäßig etwa zehn Wertungen in jedem der letzten drei Jahre: Post Open, Volme Open, Großenbaum, Ruhrhalbinsel… usw. Den habe ich völlig falsch beurteilt.
In der letzten Runde setzte ich dann ein Caro-Kann standesgemäß in den Sand. Tja, mit dem positionellen Zeugs habe ich ihm voll zugespielt, was die spätere Analyse zeigte. Es war zwar nett, zwölf Züge Theorie in weniger als 1 min herunter zu blitzen(das Repertoire versteigere ich besser ab 1 Euro bei ebay), aber ein aggressives Kontern wäre das gewesen, was mir im nach herein mehr Spielspass gebracht hätte. Es zeigte sich, dass mein letzter Gegner mit aggressiver Spielweise weniger vertraut war. In der fortgeschrittenen Analyse wollte er immer den Bauern nehmen, während ich mir sagte: Ich will lieber die Initiative. That’s life!
Am Rande des Spielgeschehens gibt es noch weitere nette Momente, die ich erhaschen durfte. So habe ich in Runde sechs nicht nur den remislichen Handschlag zwischen GM Schebler und FM Menacher erlebt und als Foto eingefangen, es gab noch mehr zu sehen!
Während sich die Kibitze wie ein Heuschreckenschwarm sofort auf die nächste offene Partie zu bewegten, verharrte ich noch hinter der Absperrung und beobachtete, wie die beiden Meister die Partie besprachen. Sie tauschten sich aus: Wie weit … und was an Varianten in der Stellung berechnet wurde. Fingerzeige auf dem Brett… Blickkontakte und verstehende Blicke. Davon habe ich eine kleine Fotostrecke gemacht. Einfach beeindruckend.
Zu guter Letzt – last but not least- habe ich zweimal mit Georg Waldschmidt ein doch nicht zu kurzes Gespräch geführt. Er ist ein sympathischer, sehr guter Spieler unseres befreundeten Schachvereines SK Sodingen, wirklich nicht weiter als einen symbolischen Steinwurf von unserem Vereinsstandort entfernt. Er stand plötzlich nach dem Ende der vierten Runde an meinem Brett und ich sprach ihn an: „Du bist doch der Georg Waldschmidt…“. Nach einem freundlichen Hallo folgte dann ein Austausch über alte Zeiten. Ja, es ist eine lange Zeit her, dass wir uns gesehen hatten. Bestimmt so an die dreißig Jahre. Garantiert gefühlte dreißig Jahre. Ich erinnere mich noch an Mannschaftskämpfe und eine Herner Stadtmeisterschaft, an der ich damals in Sodingen teilgenommen hatte. Das waren meine „guten alten Zeiten“.
Umso mehr freue ich mich, vertraute Gesichter wieder gesehen und neue kennen gelernt zu haben. Auf diesem Turnier habe ich vielgelernt. Über Kondition, mentale Einstellung, Fairness, Kampfwillen und Motivation, über alte und neue Freundschaft.
Es gab einen Moment, da fühlte ich mich wie zu Hause.
Herzlich willkommen nach jahrelanger Spielpause!
Tja, wie gesagt Joachim, ich war in diesem Turnier ‚mal „ganz unten“ …
Tomas
Hallo Tomas,
wer bist Du in Wirklichkeit? Ernest Hemingway? Günter Grass? Heinrich Böll? Oder doch Ludwig Ganghofer?