Vor einigen Jahren lockten Schnellschach- oder Blitzturniere regelmäßig zwischen 150 und 200 Teilnehmer an. Woche für Woche zogen Schachbegeisterte von einem Turnier zum nächsten. Man kannte einander oder knüpfte neue Bekanntschaften. Der Reiz, seinem Gegner gegenüberzusitzen und dessen Reaktionen zu sehen, war unbestreitbar einer der Gründe für den Erfolg dieser Turniere. Doch dann begann der unaufhaltsame Siegeszug des Online-Schachs.
Plötzlich konnte man bequem von Zuhause aus spielen. Nicht nur am Wochenende, sondern jederzeit, rund um die Uhr! Die Tatsache, dass man seinen Gegner nicht sehen konnte, brachte auch gewisse Vorteile mit sich. Man konnte über dessen Züge lautstark urteilen, sich über ihn lustig machen und dabei ganz seinen menschlichen Bedürfnissen nachgeben. Eine Flasche Bier in der Hand? Niemand würde es bemerken. Sogar das Rauchen war erlaubt, ohne dass ein Schiedsrichter Einwände erhob. Man konnte seinen Gegner beleidigen, ohne Angst haben zu müssen, dass es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen kommt.
Heute werden täglich auf den Schachplattformen ein oder sogar mehrere Turniere angeboten – ohne Teilnahmegebühr und ohne Reisekosten. Es gibt kleine Preise zu gewinnen. Doch diese haben den durchschnittlichen Schachspieler ohnehin nie sonderlich interessiert. Es lässt sich zweifellos feststellen, dass durch das Online-Spielen viel mehr Schach gespielt wird. Auch kann man nicht leugnen, dass die Spielstärke durch das häufige Spielen gesteigert wird. Doch gleichzeitig entstehen zwischenmenschliche Defizite. Das Familienleben leidet, weil das ständige Spielen im Internet zur Sucht wird und für andere sinnvolle Aktivitäten wie Bewegung keine Zeit mehr bleibt.
Die Entwicklung lässt sich nicht aufhalten. Schachvereine müssen nach neuen Wegen suchen, um das Spielen im Verein und bei Turnieren attraktiver zu gestalten. Die Konkurrenz besteht nicht länger aus benachbarten Vereinen, sondern aus dem Online-Spiel.
Text: Franz Jittenmeier
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