Generation CHess – wie das Schachfieber beim Oldie Ruedi Meier (Jahrgang 1935) neu entflammt wurde
Markus Angst – Im Verlauf seines abwechslungsreichen Lebens kam Ruedi Meier zwar ab und zu in Kontakt mit Schach. Richtig gepackt hat es den rüstigen Senior mit Jahrgang 1935 aus Winkel im Kanton Zürich aber erst im vorletzten Jahr. Da besuchte er einen vom Schachclub Chessflyers angebotenen Kurs und trat gleich dem Verein und dem Schweizerischen Schachbund bei.
«Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an», lautet ein bekannter Song von Udo Jürgens. «Mit 86 Jahren, da fängt das Schachleben an, und man hat viel Spass daran», kann man den Text des bekannten Entertainers auf Ruedi Meier adaptieren. Denn erst in diesem stolzen Alter entflammte bei ihm das Schachfieber.
Mit der Swissair in die weite Welt
hinauszuziehen, um dort zu arbeiten und Sprachen zu erlernen. Welche andere Firma wäre geeigneter gewesen, seinen Bubentraum zu verwirklichen als die Swissair?
«Als in den 40er-Jahren die kleinen Flugzeuge mit Kolbenmotoren von Kloten nach Genf flogen, konnte ich sie gut sehen und hören, denn sie flogen genau über unseren Wohnort», erinnert sich Ruedi Meier. «Mein Vater sagte, dies sei die Swissair, die da oben irgendwohin fliege. Sie transportiere wohl wichtige und reiche Leute. Nach der Schule und zwischen den Hausaufgaben bin ich immer und immer wieder nach draussen gegangen und habe nach Flugzeugen Ausschau gehalten. Sie faszinierten mich. Es gab immer mehr Flugzeuge, die über Schenkon flogen – und je älter ich wurde, desto mehr wuchs in mir der Wunsch, einmal für jene Leute zu arbeiten, denen diese Flugis gehörten.»
Schachpartien mit Seppi im Tea-Room
1957 wurde sein Traum wahr, und er bekam einen Job bei der Swissair. «Gleich zu Beginn bewarb ich mich für das Ausland und wurde entsprechend ausgebildet. Bis zu meinem ersten Transfer nach New York musste ich Englisch lernen. Zusammen mit meinem Luzerner Kollegen Seppi Imbach besuchte ich die Hull’s School in Zürich – eine Institution, die übrigens noch heute existiert – für ein Intensiv-Training. Nach dem Unterricht suchten wir jeweils in der Nähe ein Tea-Room auf, für einen Schwatz – und noch für etwas anderes…! Seppi fragte mich: ‘Spielst Du Schach?’ ‘Was ist das genau?’, fragte ich ihn, denn ich hatte – ehrlich gesagt – keine konkreten Vorstellungen von diesem Spiel. ‘Kein Problem, Ruedi, das lernst Du schnell’, war seine Antwort.»
Das Tea-Room war bekannt dafür, Schach-Sets zum Spielen zur Verfügung zu stellen. Also spielten Ruedi und Seppi zwei bis vier Partien pro Monat und das während gut eines Jahres bis zur ersten Versetzung. Danach folgten rund 30 Jahre Auslandaufenthalt mit Arbeitsorten in verschiedenen Kontinenten. Während dieser langen Zeit fokussierte sich Ruedi Meier auf seine berufliche Karriere und die Familie mit drei Kindern.
«Schach war für mich weit weg. Die berufliche Weiterbildung stand im Vordergrund. Etwas überraschend und als hätten sie gewusst, dass ich früher einmal Schach gespielt habe, schenkten mir meine Mitarbeiter(innen) anlässlich meines Abschieds in Hongkong ein faltbares Schach-Set aus Mahagoni-Holz und Figuren aus Elfenbein. Dieses wunderbare Geschenk fand dann rasch einen geeigneten Platz im Büchergestell.»
Ein Familienbesuch mit (schachlichen) Folgen
Als Ruedi Meier, welcher der SAirGroup in verschiedenen Kaderpositionen 46 Jahre lang treu blieb und nach der Pensionierung als Projektleiter in Bolivien, Bangladesch und Argentinien im Einsatz für swisscontact (die Bundesstelle für Entwicklungshilfe) und Caritas wirkte, weit über 80 war, bekam er eines Sonntags Besuch einer befreundeten portugiesischen Familie nachmittags zu Kaffee und Kuchen. «Deren Jüngster, der siebenjährige Dinis, entdeckte das Schachset im Büchergestell und forderte mich sogleich auf, mit ihm Schach zu spielen.»
Dinis’ Wunsch kam für Ruedi Meier so unerwartet wie ein Sechser im Lotto, «denn ich wollte doch nur mit unseren Freunden plaudern und Kaffee trinken. Aber Dinis war ein so sympathischer und überaus interessierter Junge, dass ich nicht anders konnte. Er verriet mir dann auch bald, dass er noch nie Schach gespielt, jedoch schon davon gehört hätte. Ich erklärte ihm, wie die Figuren aufgestellt werden und merkte dann etwas später, dass ich die Läufer dort platzierte, wo die Springer hingehörten und umgekehrt…! Was ich damals mit Seppi lernte, war nach mehr als 60 Jahren zu einem guten Teil vergessen gegangen.»
Aber die Initiative von Dinis war nicht umsonst. Denn an jenem Abend besprach sich Ruedi mit seiner aus Argentinien stammenden Frau Maria Elena, mit der er seit 45 Jahren verheiratet ist, was er für Dinis noch machen könnte. «Ihm Unterricht erteilen, das ging noch nicht – jedenfalls im Moment nicht. Aber ich könnte einem Schachklub beitreten, um besser spielen zu lernen. Dann wäre es möglich, Dinis zu trainieren.»
Ein herzlicher Empfang bei alten Kollegen
Aber welcher Klub? Ruedi Meier erinnerte sich an die «Swissair-News», in der periodisch Resultate der Chessflyers publiziert wurden – etwa wenn das erfolgreiche Team unter der Leitung von Jürg Baumann in Bangkok gegen die Kollegen von Thai Airways spielten. «Also klopfte ich beim Präsidenten der Chessflyers an, glaubte ich doch, dort noch bekannte Gesichter zu treffen. Und so war es dann auch. Das waren enorm schöne Momente. Inzwischen ist die portugiesische Familie weggezogen, aber anstelle von Dinis trainiere ich jetzt meinen achtjährigen Enkel Flurin.»
Ruedi Meier besuchte 2021 den «Schach für alle»-Kurs und erinnert sich noch gut daran, wie herzlich ihn der damalige Vereinspräsident Jürg Baumann, dessen Name in der Swissair ein Begriff war, bei den Chessflyers in Kloten als Neumitglied des Vereins willkommen geheissen hat. «Mein Ziel war, mir die nötigen Kenntnisse mit viel Spielpraxis anzueignen. Jürg nahm mich unter seine Fittiche und baute mich schrittweise auf. Sein Engagement für mich war so überraschend wie beeindruckend. Es war genau diese Zeit, in der in mir das Feuer für das königliche Spiel neu entflammte, und dafür bin ich ihm von Herzen dankbar. Aber auch Peter Ridolfi, Präsident des im letzten Oktober leider aufgelösten Schachclubs Embrach, liess keinen Moment aus, um mit mir Partien mit eingebauten Erklärungen zu spielen. Auch Roman Staub (Winkel 60plus) hat Anteil an meiner wiedergewonnenen Freude am Schach – wie auch viele meiner ehemaligen Swissair-Kollegen.»
Auch Ruedi Meiers Familie nahm Anteil an seiner wiedergewonnenen Freude am Schach. «Gänzlich unerwartet schenkte mir mein ältester Sohn im entfernten Ausland auf die vorletzte Weihnachten einen Schachkurs bei der Schachschule Markus Regez – eine exzellente Institution, die ich nur empfehlen kann.»
«Die Fortschritte befeuern mich»
In der Vereinsmitgliedschaft sieht Ruedi Meier mehrere Vorteile: «Man kann mit Kollegen verschiedenster Stärken spielen, sie um Rat fragen und so sein Spiel ständig verbessern. Zudem knüpft man auch im hohen Alter neue freundschaftliche Kontakte.»
Und er verbesserte seine Spielstärke laufend. «Ich fühle, dass es vorwärts geht. Ich gewinne heute gegen Vereinskollegen, gegen die ich vor einem Jahr noch verloren habe. Meine Kameraden bestätigen mir diesen Fortschritt und das befeuert mich, noch besser zu werden. Es sind nicht die grossen Schritte, aber es gibt sie – die kleineren halt, und das passt zu mir und macht mir enorm Freude.»
Noch sieht man Ruedi Meier nicht bei Einzelturnieren oder in der Schweizerischen Mannschaftsmeisterschaft (SMM). «Doch wenn ich es schaffe, ein entsprechendes Niveau zu erreichen, dann würde ich gerne Turniere spielen. Denn im Sport will man sich mit anderen messen und weiss dann, wo man steht. Jeder Wettkampf hat seinen ganz speziellen Reiz. Das ist im Schach nicht anders.»
«Nur wenn die Gehirnzellen gebraucht werden, bleiben sie aktiv»
Es war schon immer Ruedi Meiers Ding, sich Ziele setzen, um vorwärtszukommen. «Das mache ich auch im Schach so. Im Moment habe ich mir vorgenommen, das erreichte Spielniveau zu stabilisieren.»
Ruedi Meier ist überzeugt, dass beim Schach wichtige persönliche Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit, Konzentration und Ausdauer trainiert werden. «Die Gehirnzellen sterben in Alter langsam ab. Nur wenn sie gebraucht werden, bleiben sie aktiv. Deshalb sehe ich im regelmässigen Schachspiel auch einen gesundheitlichen Vorteil.»
Leider war es just eine gesundheitliche Odyssee, die ihn im vergangenen Jahr etwas ausbremste. «Ich musste meine Aktivitäten allgemein wie auch das Schachspiel um die Hälfte herunterfahren. Doch ich freue mich auf 2023 – denn ein einmal entflammtes Feuer erlischt nicht so schnell.»
Lesen Sie hier mehr über Generation CHess, die Mitgliedergewinnungs-Aktion des Schweizerischen Schachbundes (SSB).
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