Nepo, MVL und sechs weitere Spieler
Dr. Thomas Richter – Vor dem Turnier hieß es noch „Caruana, vielleicht Ding Liren und sechs weitere Spieler“ – aber Prognosen stimmten ja auch in früheren modernen Kandidatenturnieren nicht unbedingt. Im aktuellen ist es natürlich ein Zwischenstand, allerdings eventuell schon ein aussagekräftiger.
Ein bisschen Rückblick kommt am Ende des Beitrags, zunächst eine kurze Zusammenfassung von Runde 5 und 6: Nepo-China 2-0, sonst gewann nur … Anish Giri. Damit steht es aktuell so: Nepomniachtchi 4.5/6, Vachier-Lagrave 3.5, Caruana, Giri, Wang Hao, Grischuk 3, Ding Liren und Alekseenko 2.
Nepomniachtchi bekommt natürlich das Titelbild, und auch einige weitere im Bericht – teils wieder aus der Rubrik „so sehen Sieger aus?“. Fotos stammen wieder von der FIDE-Flickrseite, wieder von „photographer / FIDE“ (Maria Emelianova und Lennart Ootes). Zunächst ein Gesamteindruck aus Runde 5:
Eintrittskarten sind offenbar so teuer, dass sich das in Jekaterinburg niemand leisten kann, oder gibt es einen anderen Grund für fehlende Zuschauer?
MVL zeige ich auch individuell – nach derzeitigem Stand stimmt meine Prognose, dass er Zweiter wird.
Und hier zusammen mit seinem Gegner Kirill Alekseenko und ein paar etwas wahllos über das Brett verteilten Figuren – kann in einem Najdorf-Sizilianer passieren und endete remis.
Diese beiden Herren spielten auch Remis. Wenn Giri klar besser steht, spielt er remis (so war es auch bei der analogen Paarung dieser Spieler im Kandidatenturnier 2016). Wenn er schlechter steht, spielt er auch remis. Wenn die Stellung ausgeglichen und objektiv schlicht und ergreifend remis ist … da muss sich der Leser noch etwas gedulden.
Beide nach der Partie. Grischuk-Ding Liren wurde auch remis und ist hiermit erwähnt, bleibt noch
Nepomniachtchi – Wang Hao. Das Ergebnis kennt der Leser bereits, das nächste Foto verrät es eher nicht:
Na denn Prost (in der Thermoskanne vermutlich kein Corona-Bier). Zur Partie: Russisch ist „eigentlich“ remis, aber diesmal behielt Weiß etwas Vorteil und konnte diesen dann mit etwas gegnerischer Hilfe zum vollen Punkt verdichten. Mitschuldig war mal wieder ein weisser Bauer auf h6.
„So sehen Sieger aus?“ oder „Wer hat hier eigentlich gewonnen?“.
In Runde 6 hatte Nepomniachtchi wieder Weiß, wieder begann er mit 1.e4 aber Ding Liren spricht spielt ja nicht Russisch sondern Spanisch.
Dem chinesischen Ex-Turnierfavoriten kam dann ein Bauer abhanden und später eine Figur. Letzteres war wohl Absicht, immerhin hatte er dafür einen matträchtigen Bauern auf h3. Leider – aus seiner Sicht – hatte Nepo ein Schachgebot: 38.Dh4+ (schwarze Dame auf g4, weisser Bauer auf g3) – nur so konnte er das Matt parieren (und die Mehrfigur behalten). „Stellungsglück“ war es dabei wohl nicht.
Die nächste Fotoserie „So sehen Sieger aus?“:
Wir können uns eventuell freuen auf ein interessantes WM-Match Carlsen-Nepomniachtchi, der Norweger ist ja ähnlich fotogen.
Und das war das alternative Titelbild, aber im Schachticker-Layout ist Querformat vorgesehen.
Die Pressekonferenz dann offenbar ohne Ding Liren – auch so ist klar, wer gewonnen hatte.
Vachier-Lagrave zeige ich auch nochmals. In einem/seinem Grünfeld-Inder stand er gegen Wang Hao durchaus schlechter, aber möglicherweise nie schlecht genug – remis.
Und auch Grischuk-Caruana wurde remis, es dauerte etwas länger als eventuell denkbar: Für 13.Sg5 brauchte Grischuk knapp 15 Minuten, und das war bereits ein halbes Remisangebot (13.-Tf8 14.Sf3 Te8) – aber nun investierte Grischuk weitere 27 Minuten für 15.Te1 „ich will doch kein Remis“. Das war gar ein Bauernopfer – Kompensation hatte er, den Bauern bekam er dann zurück, und dann wurde es remis.
War da noch was? Um 18:57 rechnete ich fest mit einem baldigen Remis in der letzten Partie, also habe ich mich aus der Liveübertragung verabschiedet und schaute Fernsehnachrichten. Erwartungsgemäss gab es keine neuen: vorgestern Corona, gestern Corona, heute Corona – morgen wohl auch (beim Kandidatenturnier in Jekaterinburg ist ja Ruhetag). Russische Nachrichten empfange ich nicht und hätte sie ohnehin nicht verstanden. Da war vielleicht eine rätselhafte Häufung von Lungenentzündungen in Moskau Thema des Abends – kein Grund zur Sorge, Jekaterinburg ist ja weit von der Hauptstadt entfernt.
Fotos für diesen Bericht hatte ich bereits heruntergeladen und ausgewählt, dieses kommt nun dazu:
Alekseenko-Giri 1/2 0-1 – was war passiert? Vielleicht dachte Alekseenko, dass Ding Liren sich sonst am Tabellenende einsam fühlt, jedenfalls patzte er. Giri hatte das mit 83.-h4 und 86.-gxf5 (ja, es war eine lange Partie) immerhin ermöglicht, dennoch wird sein Sieg wohl als glücklich bezeichnet. Hou Yifans schachlicher Selbstmord 2016 in Wijk aan Zee war dagegen eine zutiefst beeindruckende Leistung ihres Gegners. Ähnlich verlor sie zwei Jahre später ebenfalls in Wijk aan Zee gegen einen gewissen Anish Giri, nun ist sie in anderer Rolle vor Ort in Jekaterinburg.
Eines verstehe ich nicht: Wieso war Ding Liren Favorit, und Nepomniachtchi demnach Außenseiter? Der Elounterschied beträgt nur vier Punkte – könnte daran liegen, dass es vor dem Turnier 30 Punkte waren. Nepomniachtchi hat in der Vergangenheit gezeigt, dass bei ihm aus +3 auch wieder 50% werden können, demnach ist noch keine Vorentscheidung gefallen. Bei der Vorschau hatte ich allerdings nicht berücksichtigt, dass er dieses Jahr in Wijk aan Zee magere null Punkte erzielte – aus null Partien, dabei hatten sie ihn eingeladen. Vachier-Lagrave wird garantiert Zweiter, damit sind andere nicht chancenlos – auch nicht mein Vorschlag Anish Giri, schliesslich wandelte er bereits auf den Spuren von Magnus Carlsen. Damit komme ich zum eingangs versprochenen Rückblick auf frühere Kandidatenturniere:
2013 war ein Norweger haushoher Favorit – „Carlsen und sieben andere Spieler“. Spannend wurde es dann trotzdem, mitentscheidend dass Radjabov in der vorletzten Runde plötzlich ein Remisendspiel erfolgreich auf Verlust spielte.
2014 sagten dann „alle Experten“ „sieben Spieler und Vishy Anand“. Das stimmte, aber nicht so wie sie zuvor dachten.
2016 gab es nach allgemeiner Einschätzung keinen Favoriten und keinen Außenseiter. Aber nur wenige Experten (Thomas Richter, Sergey Shipov und Magnus Carlsen) rechneten mit einem Sieg von Karjakin.
2018 dann doch mal ein klarer Favoritensieg – weil Caruana seine Generalprobe in Wijk aan Zee verpatzt hatte.
Nun ist demnach nicht unbedingt das Corona-Virus verantwortlich für den bisher unerwarteten Turnierverlauf, wobei Nepomniachtchis Einstellung „das Beste draus machen“ ihm jedenfalls nicht schadete. Zum Schluss doch noch ein bisschen Corona: Nach Runde 5 plädierte Grischuk für einen sofortigen Abbruch des Turniers. Und Caruana bestätigte, dass er eventuell hinterher nicht in die USA zurückkehren kann.
Nach dem Ruhetag treffen mit einer Ausnahme punktgleiche Spieler aufeinander. Zuerst die Ausnahme: Nach dieser Runde sind MVL und Nepo eventuell punktgleich – falls der Franzose mit Weiß gewinnt. Bis zu fünf Spieler haben danach 50% – falls bei MVL-Nepo Schwarz gewinnt und bei Caruana – Wang Hao und Giri-Grischuk niemand. Am anderen Tabellenende das Duell Ding Liren – Alekseenko. Dann ist Halbzeit im Turnier, und alles beginnt wieder von vorne – jedenfalls nochmals dieselben Paarungen mit vertauschten Farben.
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